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Archive for April 2021

Das Urteil gegen Karl Roche vom 1921

Nach dem versuchten VKPD-Aufstandsversuch am 23. März 1921 kam es zu folgendem Urteil.

Die eingerichteten Außerordentliche Gerichte machten kurzen Prozeß. Wir greifen hier nur die Zeitungsmeldungen zur Verurteilung des Genossen Karl Roche für die Unionist-Ausgabe Nr. 13 heraus.

Hamburger Anzeiger, 13. April 1921:

Weitere Aufruhrsachen vor dem Sondergericht.

Kommunistische Flugblätter und Weiterdruck der Volkszeitung.

Wegen Vorbereitung zum Hochverrat haben sich vier Personen zu verantworten: Der Gewerkschaftssekretär der V. K. P. D. Karl Sehnbruch, der Student der Philosophie Werner Heinz Neumann aus Berlin, zurzeit politischer Kommissar der V. K. P. D. Wasserkante, der Buchdruckereibesitzer Albert Friedrich Heil und der frühere Bauarbeiter und jetzige Invalide Karl Roche. Es handelt sich um die Herausgabe aufreizender Flugblätter und den Druck des Unionists, des Organs der „Arbeiterunion“, und um die Fortsetzung der verbotenen Volkszeitung. Der Angeklagte Heil ist Inhaber einer kleinen Druckerei, in der der Unionist gedruckt wird. In der letzten Nummer dieser Zeitung sollen aufreizende Artikel enthalten sein, wofür der Angeklagte Roche verantwortlich gemacht wird, der aber die Verantwortung ablehnt. Er habe lediglich die Manuskripte in die Druckerei gebracht, aber sich um den Inhalt nicht gekümmert. Am Tage vor Ostern druckte Heil im Auftrage der Leitung der V.K.P.D. ein aufreizendes Flugblatt, dessen Inhalt er aber nicht gelesen haben will. Die Polizei bekam Wind von der Sache, besetzte die Druckerei und nahm die Angeklagten Sehnbruch und Neumann, die dort erschienen, in Haft. Sehnbruch, der aus München ausgewiesen ist, war erst ein paar Tage in Hamburg und will nichts gewußt haben. Neumann ist nach Hamburg gekommen und hat sich der V.K.P.D. zur Verfügung gestellt. Er behauptet, eine Fortsetzung der verbotenen Volkszeitung sei nicht beabsichtigt gewesen: er habe sich lediglich um den Druck der in Kiel und Bremen erscheinenden Kopfblätter der Volkszeitung gehandelt, die nicht verboten gewesen seien.

Der Staatsanwalt beantragt die Freisprechung von Sehnbruch und Neumann, gegen die nichts erwiesen sei; gegen Roche und Heil wird Festungshaft von einem Jahre  und von 18 Monaten beantragt. Das Urteil lautet gegen Sehnbruch und Neumann antragsgemäß auf Freisprechung, gegen Roche auf ein Jahr und gegen Heil auf 18 Monate Festungshaft. •

Neue Hamburger Zeitung, 13. April 1921:

Außerordentliches Gericht des Reichs.

Ik. Wegen Vorbereitung zum Hochverrat stehen vor dem Gericht: der Gewerkschaftssekretär Karl Sehnbruch, der Student Werner Heinz Neumann, der Buchdruckereibesitzer Albert Friedrich Heil und der Bauarbeiter Carl Roche. Es handelt sich um die Herausgabe aufreizender Flugblätter und die Fortsetzung der verbotenen Volkszeitung. Der Angeklagte Heil hat eine kleine Buchdruckerei, in der der Unionist, das Organ der Arbeiter-Union, gedruckt wird. Es wurde am Tage vor Ostern von der Führung der V. K. P. D. beauftragt, Flugblätter für Landarbeiter zu drucken, auch verhandelte man mit ihm über den Druck einer Zeitung, die nach der Meinung der Polizei die verbotene Volkszeitung ersetzen sollte. Heil nahm den Auftrag aus geschäftlichen Rücksichten an, politisch hat er nichts mit den Kommunisten und Unionisten zu tun.

Der Angeklagte Roche soll bei diesen Geschäften die Vermittlerrolle gespielt haben. Die Polizei besetzte die Heilsche Druckerei und nahm Sehnbruch und Neumann, die in der Druckerei erschienen, in Haft. Sehnbruch wurde seiner Darstellung nach vom Parteisekretär Behring in die Heilsche Druckerei gesandt, um sich zu erkundigen, ob die Flugblätter fertig seien. Weiter will er von der Sache nichts wissen.

Neumann, ein Berliner Student der Philosophie, ist vor einiger Zeit nach Hamburg gekommen, um sich der V. K. P. D. zur Verfügung zu stellen. Er hatte eine Legitimation als „politischer Kommissar der V. K. P. D. Wasserkante“ bei sich, als er verhaftet wurde. Er bestreitet, daß eine Fortsetzung der verbotenen Volkszeitung beabsichtigt gewesen sei; es habe sich lediglich um den Druck der in Bremen und Kiel erscheinenden Kopfblätter der Volkszeitung gehandelt, die nicht verboten gewesen seien. Dem Roche wird vorgeworfen, daß er in dem Unionist aufreizende Artikel veröffentlicht habe. Er erklärte, daß er für den Inhalt dieser Zeitung nicht verantwortlich gemacht werden könne, er sei lediglich Bote gewesen.

Nach Schluß der Beweisaufnahme beantragt der Anklagevertreter die Freisprechung für Sehnbruch und Neumann, deren Schuld nicht einwandfrei nachgewiesen sei. Heil und Roche müßten bestraft werden, weil sie aufreizende Druckschriften zu verbreiten versucht hätten. Gegen Roche wird ein Jahr Festungshaft, gegen Heil werden 18 Monate Festungshaft beantragt. Das Urteil lautet in bezug auf Neumann und Sehnbruch antragsgemäß auf Freisprechung. Roche trage die Verantwortung für die aufreizenden Artikel des Unionist. Er wird zu einem Jahr Festungshaft verurteilt.

Heil, der aus geschäftlichen Interessen die aufreizenden Druckschriften hergestellt hat, wird zu 18 Monaten Festungshaft und wegen Preßvergehens zu 150 Mark Geldstrafe verurteilt. •

Gerichts-Bericht des Hamburgischen Correspondenten vom 13. April 1921:

Vor dem außerordentlichen Gericht standen ferner der aus Bayern wegen politischer Umtriebe ausgewiesene Gewerkschaftssekretär Karl Sehnbruck, der Student der Philosophie Werner Neumann aus Berlin, der Druckereibesitzer Albert Friedrich Heil und der mehrfach wegen politischer Vergehen [Anmerkung: vornehmlich im Kaiserreich!] bestrafte frühere Bauarbeiter Johann Friedrich Rocke unter der Anklage der Verleitung zum Hochverrat. Bei der Ueberholung der Heilschen Druckerei am 26. März traf die Polizei dort die Angeklagten Neumann, Sehnbruch und Rocke an. Bei der Durchsuchung der Druckerei fand man eine Anzahl Manuskripte hetzerischen Inhaltes für Flugblätter der kommunistischen Partei, sowie für die Arbeiter-Union. Ebenso den fertiggestellten Satz eines solchen Blattes. Alles wurde beschlagnahmt. Man vermutete auch, dass die kommunistischen Schriften zur Fortsetzung der verbotenen Hamburger Volkszeitung dienen sollten. Die Angeklagten Sehnbruch und Neumann erklärten nun, sie hätten durchaus keinerlei Kenntnis von dem Inhalt der zu Heil gebrachten Manuskripte gehabt. Sie seien der Meinung gewesen, dass es zu Kopfblättern für Zeitungen für Kiel und Bremen dienen sollte, die sonst in der Volkszeitung gedruckt wurden.

Heil sagte aus, er habe das Organ der Arbeiter-Union, den ‚Unionist’, gedruckt. Als ihm Rocke das in Rede stehende Manuskript gebracht hatte, habe er es für illegal gehalten. Rocke habe seine Bedenken aber zu zerstreuen gewusst, indem er erklärte, es werde ja nur die Ansicht der Kommunisten, nicht die der Unionisten zum Ausdruck gebracht. Rocke will nur der Bote der Arbeiter-Union gewesen sein und als solcher wiederholt, wie auch am 26. März, mit Heil über einen Druckauftrag verhandelt haben. Nach der Beweisaufnahme hielt Oberstaatsanwalt Hollender eine Vorbereitung zum hochverräterischen Unternehmen seitens der Angeklagten Sehnbruch und Neumann nicht für erwiesen und beantragte deren Freisprechung, aber gegen Heil, der aus Gewinnsucht gehandelt hatte, 15 Monate, gegen Rocke 1 Jahr Festungshaft. Das Gericht erkannte diesen Anträgen gemäß. •

Das hamburgische Börsenblatt – Hamburgischer Correspondent – kann weder das Urteil richtig wiedergeben noch den Namen des Angeklagten Sehnbruch noch den unseres Genossen Roche.

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Uns liegt ja die inkriminierte Ausgabe Nr. 13 des Unionist vor (pdf):

Die Fakten sind sehr mehrdeutig: Karl Roche war zwar Mitglied der Pressekommission der AAU Groß-Hamburg, aber er war nicht für die Ausgabe Nr. 13 des Unionist verantwortlicher Redakteur (gezeichnet war die Ausgabe mit Kurt Meyer, Berlin). Außerdem erschien die Ausgabe definitiv erst nach Ostern, denn die Schlagzeile lautet: „Die Oster-Erhebung des revolutionären Proletariats!“ und greift die Hausdurchsuchung im Büro der AAU in der Straße Kohlhöfen 20 in der Nacht vom 25. auf den 26. März heftig mit einem Offenen Brief an den SPD-Polizeisenator Hense an.

Zudem beweist das Vernehmungsprotokoll der Polizeibehörde, Abteilung II, vom 31. März 1921, dass die „Beschlagnahme der Zeitschrift Unionist Nr. 13 in der Hauptsache erfolgt“ ist. Das Impressum entsprach nach Richterspruch nicht dem Pressegesetz, da die Druckerangabe: „Kommissionsdruck“ und die Verlagsangabe: „Pressekommission der A.A.U. Gross-Hamburg“ „als Firmen nicht anzusehen und auch sicher nicht eingetragen sind“.

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Anmerken müssen wir, dass in der 14. Ausgabe des Unionist vom 8. April 1921 Karl Roche als Verantwortlicher im Impressum aufgeführt ist.

Die Beschlagnahme der 13. Unionist-Ausgabe erfolgte am 30. März, die Hausdurchsuchung des AAU-Büros (Hamburg 3, Kohlhöfen 20) fand am 25./26. März statt. – Die Termine sind nach dem Aufstands- oder Putschversuch am 23. März 1921 – Ostersonntag war der 27. März 1921.

Der Gewerkschaftssekretär der KPD, Karl Sehnbruch, ist nicht weiter bekannt geworden; der Student Werner Heinz Neumann ist der spätere Sekretär Ernst Thälmann. Er fällt unter Stalin in Ungnade und wird 1937 liquidiert.  

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Ein ausführlicher Artikel zum Hamburger KPD-Aufstandsversuch vom 23. März 1921 findet sich hier:

https://muckracker.wordpress.com/2021/04/11/der-kpd-aufstand-in-hamburg-1921/

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