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Regionales Archiv zur Dokumentation des antiautoritären Sozialismus – RADAS Hamburg

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An den Schandpfahl!

An den Schandpfahl!

Die Revolution ist scheintot! Der neue Militarismus hat sie betäubt! Erschlagen kann er sie nicht, wenn die revolutionäre Arbeiterschaft sich – einig ist.

Für uns Syndikalisten hat die gegenwärtige Situation ganz besonderen Wert. Die brutale Waffengewalt der Gegenrevolution ist zu groß, als daß die Revolutionäre Aussicht haben könnten, sie mit Waffengewalt niederzuschlagen. Die politischen Parteien wirtschaften rapid ab. Die Zeit ist nahe, wo die Arbeiter endlich klar die Tatsache sehen werden, daß weder Mordwaffen noch Parlamente Klassenkampfmittel des Proletariats sein können, daß ihre Waffe die Entziehung der Arbeitsleistung sein muß. Die Entwicklung der Revolution arbeitet für den Syndikalismus. Nur der Syndikalismus kann die Revolution retten. Streiks und passive Resistenz!

Dazu kommt, daß gegenüber der syndikalistischen Klassenkampfstrategie, die Position der Gegenrevolutionäre täglich unhaltbarer wird. Auf die Dauer können weder Ebertsche Aufrufe noch Noskesche Maschinengewehre die Revolution aufhalten. Will die Gegenrevolution sich behaupten, dann muß auch sie, wie alles andere in der Welt, eine ökomomische Basis haben, woraus sie ihre Kräfte zieht und ihre Versprechungen erfüllen kann. Und die fehlt ihr! Was noch an Wirtschaft da ist, verkrümelt stündlich mehr. Der deutsche Kapitalismus steht vor seiner „Anarchie“. Er steht vor dem Zusammenbruch seiner Herrschaft über die Lohnarbeiter. Und der stürzende Riese verhindert noch den natürlichen Zustand einer Herrschaftslosigkeit, einer Anarchie, wo jeder Mensch Arbeiter und jeder Arbeiter Mensch, wo keine Herrschaft mehr vorhanden sind, wo es keiner Regierung bedarf, weil nur noch Verwaltung und zwar Selbstverwaltungen der Kommunen und Produzentengenossenschaften vonnöten sind. Aus der ökonomischen Zerfahrenheit könnte die Gegenrevolution nur gerettet werden, durch Arbeit, Arbeit und wieder Arbeit, ebenso wie das Wirtschaftsleben überhaupt, auch wenn die Revolution siegt, nur durch Arbeit aufzurichten ist. Und diese „verfluchte“ werteschaffende Arbeit, vor der sich das Faulenzertum der Aktionäre und Politiker zu drücken verstanden hat – die sie angespien haben, die sie für ihre Person immer nur bildlich anerkannten – die Arbeit muß ihnen vorenthalten, verweigert werden. Streik und passive Resistenz! Und die Gegenrevolution ist am Ende ihres Lateins.

Dabei ist zu beachten, daß beim gegenwärtigen Stande der Revolution die passive Resistenz noch erfolgreicher wirken muß, als der Streik. Der Streik muß das öffentliche Leben in Verwirrung bringen können, soll er den Streikenden Erfolge bringen. Die Wirtschaft liegt allerdings bereits derart darnieder, es ist das ganze öffentliche Schalten und Walten derart in Unordnung geraten, daß Streiks in Industrien, die nicht ausschlaggebend sind, kaum noch die „Anarchie“ vollständiger machen können.

Viel gefahrloser für die Arbeiter und gefährlicher für die Gegenrevolutionäre ist die passive Resistenz. Die Arbeiter bleiben im Betrieb. Sie stellen immer höhere Lohnforderungen, um ihr nacktes Leben erhalten zu können. Die Arbeiter tun, als ob sie was täten, aber in Wirklichkeit schaffen sie keine oder nur geringe Werte. Die Arbeiter sind ja halb verhungert! Vier Jahre Krieg, vier Jahre Elend! Wer könnte es wagen, ihnen intensive Arbeitsleistung zuzumuten! Das Heer der Arbeitslosen, die Erwerbslosenunterstützung beziehen, muß größer und größer werden. Zur finanziellen Landplage der gegenrevolutionären Regierung müssen die Arbeitslosen werden. Daneben haben die Arbeitslosen sich öffentlich „unliebsam“ bemerkbar zu machen. Versammlungen, Demonstrationen, neue Forderungen haben die gegenrevolutionären Verwaltungen immer schärfer in die Enge zu treiben. Kein Arbeitsloser, der Erwerbslosenunterstützung erhält, soll sich mit Arbeit über den Kopf kommen lassen, wenn er ihr entgehen kann.

Das ist in der Gegenwart notwendig. Die Gegenrevolution braucht Arbeit, die Revolution antwortet mit Faulheit. Laßt uns faul in allen Sachen … Auf diese Art wird die Revolution gewonnen.

Die gegenrevolutionäre Regierung ist drauf und dran, ein Gesetz herauszubringen, das die Arbeiterräte „verankern“ soll. Das wird ein Schandgesetz gegen die mageren Errungenschaften der Revolution werden. Die Arbeiterräte sollen zum Büttel des Unternehmertums herabgewürdigt werden. Sie sollen helfen, den größtmöglichen Profit aus den Knochen ihrer Klassengenossen herauszuschinden, sie sollen die neuen Sklavenordnungen, genannt Tarifverträge, mit durchführen, ihnen soll es obliegen, Streiks zu hintertreiben. Wahrlich – die Revolution liegt bös darnieder, sonst würde es die Reaktion nicht wagen, die Arbeiterklasse derart zu verhöhnen. Aber die Revolution kann gerettet werden. Streiks und passive Resistenz!

Der Wille dazu ist bei den Arbeitern vorhanden. In den Betrieben kennt man keine Parteien. Alle bindet die brennende Liebe zur Freiheit, die harte Not der Revolution. Die Arbeiter wären sich längst einig. Längst hätten sie die Besitzer der Produktionsmittel davongejagt und Leitung wie Durchführung der Produktion in die eigenen Hände genommen. Die sozialeRevolution konnte durchgeführt sein, wenn – wenn die Arbeiterschaft nicht mit dem Ungeziefer der Führer behaftet wäre. Die Führer wollen herrschen, regieren, befehlen und – selbst nicht arbeiten. Das ist des Pudels Kern aller Arbeiteruneinigkeit. Jede doktrinäre Richtung will möglichst ihr abgegrenztes Königreich für sich haben, jeder „Dr.“doktort an der Revolution herum und hilft sein Teil mit, sie zu Tode zu doktorn. Jeder Idiot, der irgend welche national-ökonomische Theorie von Bedeutung hersagen kann, hält sich für eine Dreiviertelgottheit, der die Arbeiter Anbetung schulden. Die Arbeiterorganisationen sollten alle Doktoren höflichst, aber bestimmt ersuchen, die Tür von draußen zu schließen. Für ihren Befreiungskampf braucht die Arbeiterklasse die Theorie, welche das pulsierende warme Leben ihnen lehrt und nicht Dogmensätze, die hundert oder so und so viel Jahre alt sind.

Eine sozialistische Wissenschaft kann es noch nicht geben, weil noch nie sozialistisch gelebt wurde. Was die Neunmalweisen sozialistische Wissenschaft nennen, ist das Ragout ihrer bürgerlichen Beschränktheit.

Die Arbeiter werden sich einig sein, wenn sie sich von der Kathederwissenschaft befreit haben werden. Da ist solch ein Dr. in Hamburg, Dr. Heinrich Laufenberg nennt er sich. Der Mann ist Sozialdemokrat und schimpft sich „Kommunist“. Die Revolution am 6. November brachte ihn an die Spitze des Hamburgischen Proletariats. Er ließ die rote Fahne auf dem Hamburger Rathaus hissen, bestieg den Balkon und hielt Reden. O, wie muß der Mann als Sozialdemokrat glücklich gewesen sein!  Er hatte ja die politische Macht. Nun regiert er mit Hilfe des Arbeiter- und Soldatenrates so gut und so schlecht, als es eben ein Sozialdemokrat, dem die politische Macht alles ist, fertig bringt. Seine Macht war groß, aber – ihm fehlte ein Kleines. Nämlich Geld! Er hatte sich in einem Bienenschwarm, in die kapitalistische Wirtschaft hineingesetzt, wollte ihn sozialistisch regieren und diesen heiklen Organismus nicht zerstören. Und das faule Pack der Drohnen stach nicht nur nach Herrn Dr. Heinrich Laufenberg, es verweigerte ihm auch den Honig. Seine Herrlichkeit dauert nicht gar lange. Eines Tages entdeckte nämlich der Marxist Laufenberg, daß man in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung auch mit der stärksten politischen Macht nicht ohne die Gunst der Herren Bankiers regieren kann. Was blieb ihm übrig zu tun? Er mußte Sanatus und Pfeffersackparlament bitten, ihre altbewährten Funktionen wieder aufzunehmen. Damit war die soziale Revolution für Hamburg erledigt. Die Sozialdemokratie kam an die Regierung. Und sie regiert. Aber frage niemand wie? Sie hat das „Vertrauen“ der Arbeiter und schützt das Rathaus vor den Arbeitern durch Maschinengewehre und Wasserschläuche. Sie hat sich einen „exotischen Generalissimus“ geschaffen, der auf den simplen Namen Lumperl oder Lamperl ([i]) oder so ähnlich hört. Dieser rasselt firchtbar mit seinem – Säbelkoppel und – verhängt ab und zu den Belagerungszustand über das Hamburgische Proletentum. Die sogenannten Bonzen – pfui, solch ein Wort! – haben alle ihren Platz an der Krippe gefunden. Sie haben sich zu Senatoren usw. usw. gemacht. Nur einer ist übrig geblieben. Nämlich Herr Dr. Heinrich Laufenberg. Der hält den Finger im Mund und simuliert über die Vergänglichkeit aller Erdenmacht.  Als Mensch könnte man den armen Knaben bedauern. Dazu ist er ein Mann, der manches gute Wort sagt und schreibt. Auch ihn hat die fehlgeschlageneRevolution nicht dümmer gemacht. Aber – er ist eben ein Dr. und will sein Königreich für sich haben. Nach links einen dicken Strich, nach rechts die Tore offen. Das ist seine Taktik.  Und weil ihm die Orientierung nach rechts nicht schnell genug vonstatten geht, so muß er auf Doktorart nachhelfen. Er verleumdet die revolutionären Arbeiter von links.

Von ihm ist eine Broschüre erschienen. „Was heißt Sozialisierung?“ Darin sagt er wörtlich auf Seite 4 über die revolutionären Kämpfe der Gegenwart:

„Freilich von dem Augenblicke an, wo an den zentralen Stellen erklärt wurde, keine Herrschaft der Arbeiterklasse, während anarchistische und syndikalistische Strömungen neben der Finanz und der Generalität absichtlich hervorgerufen und gefördert wurden und werden, mußte es zu schweren Kämpfen kommen.“

In Rheinland-Westfalen kämpften Kommunisten und Syndikalisten in Not und Tod vereint um den Sozialismus. 2000 der Tapferen kamen hinter Schloß und Riegel, andere bezahlten ihre Bravheit mit dem Leben. In Hamburg organisierten die Syndikalisten eine Sammlung für die Opfer und Kommunisten, wie Anarchisten und Sozialisten tun alle ihr Möglichstes, Brudertreue an denen zu üben, die für das ganze deutsche Proletariat bluten müssen.

Und da begeht solch ein Trottel von Dr. die Infamie, sich aus den Fingern zu saugen, daß „anarchistische und syndikalistische Strömungen“ von der Finanz und der Generalität gefördert wurden und werden. Pfui Teufel! Ueber diesen ekelhaften Kerl, kein Wort mehr.

Die Arbeiter werden sich befreien, wenn sie sich von solchen „Führern“ befreit haben.

Karl Roche.


• Der Syndikalist # 25 vom 31. Mai 1919 [I. Jahrgang]


[1] Walther Lamp’l (* 10. Mai 1891 in Hamburg; † 4. Januar 1933 in Altona) – Polizeichef der MSPD, Ex-Vorsitzender des Soldatenrates.
Im Dezember 1918 wurde er zum Vorsitzenden des Soldatenrates für Hamburg, Altona und Umgebung gewählt. Er war damit neben Heinrich Laufenberg einer der Inhaber der tatsächlichen Macht während der Revolution. Nachdem die Räte an Macht verloren, wurde Lamp’l im März 1919 von der Reichsregierung zum Kommandanten von Groß-Hamburg, daran anschließend im August 1919 zum Reichskommissar für Groß-Hamburg ernannt, ein Amt, das er bis November 1919 inne hatte. Im März 1919 wurde er für die SPD in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt, der er bis 1921 angehörte. Von August 1921 bis zu seinem Tode Anfang 1933 war Lamp’l besoldeter Magistratsrat der Stadt Altona.

Anmerkung:
Dieser Artikel erschien am 31. Mai 1919 – bereits am 1. Mai setzte sich Karl Roche auf zwei Versammlungen der Syndikalistischen Föderation Hamburg mit dem Problem ausführlicher auseinander und publiziert die Broschüre Zwei Sozialisierungsfragen.

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