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Regionales Archiv zur Dokumentation des antiautoritären Sozialismus – RADAS Hamburg

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KAMPF! – Vorwort zum Repint 1986 (Hamburg)

Die Anarchistische Föderation Hamburg-Altona und Umgebung und die Zeitung „KAMPF!“

1. Organisatorisches (1)

Initiator und treibende Kraft der Hamburger Föderation war offensichtlich Paul Albert Schreyer, der von Anfang an Kontakt mit der „Anarchistischen Föderation Deutschlands“ (AFD) hatte, die sich um die Jahrhundertwende zu formieren begann. Ende 1906 hatte sich Schreyer an den „Anarchistischen Lese- und Debattierklub Norden“ in Berlin gewandt, um dessen Statut zu erhalten. Mitte Juni 1907 wurde dann nach diesem Vorbild der “Anarchistische Lese- und Debattierklub Hamburg-Altona“ gegründet, der sich im August 1908 der AFD anschloß, und aus dem im Dezember 1909 die „Anarchistische Föderation Hamburg-Altona und Umgebung“ hervorging (2).

Für den 10. April 1910 lud die Föderation die Genossen aus Nordwestdeutschland zu einer Konferenz nach Hamburg ein, an der etwa 29 Leute teilnahmen (3). Thema war die Intensivierung von Agitation und Organisation. Hugo Schlegel, der Vorsitzende der Hamburger Föderation, begründete den Vorschlag zur Schaffung einer einheitlichen „Landesföderation Nordwestdeutschland“ (der über die ursprüngliche Absicht, lediglich Agitationsbezirke einzurichten, hinausging) mit der Hoffnung, die „Eigenbrödelei“ zu überwinden und zu einer Massenorganisation mit festen Beiträgen, reger Agitation und eigener Zeitung zu werden.

Das auf der Konferenz verabschiedete Statut nannte als Grundlage die Bezirksföderation, die „zusammenhängende Städtekomplexe“ umfassen sollte (was de facto nur für Hamburg und Bremen galt); die Bezirksföderationen oder Agitationsbezirke bildeten dann die Landesföderation, deren Exekutive eine sechsköpfige Geschäftskommission (GK) war, die ihren Sitz in Hamburg hatte. Hamburg stellte drei Mitglieder der GK, die übrigen sollten von den anderen Bezirken gewählt werden. Finanzieren sollte sich die GK selbst, was nichts anderes bedeutete, daß korrespondierende Genossen ihre Portokosten selbst tragen mußten und Ausgaben für Flugblätter und Versammlungen auf die einzelnen Gruppen umgelegt werden sollten.

Die Landesföderation war aber ein „totgeborenes Kind“ (Linse): Die Bremer verloren ihre Anhänger an die örtlichen Syndikalisten der „Freien Vereinigung aller Berufe für Bremen und Umgebung“, sodaß die für 1911 in Bremen geplante Konferenz ausfiel. Auch die Hamburger hatten Probleme: die Kleingruppen (4), die Gegner der Hamburger Föderation waren, wurden durch das Statut nicht als Grundeinheit der Landesföderation anerkannt, was zu heftigen Auseinandersetzungen führte und den Bezirk lange schwächte.

Einen Aufschwung nahm die Hamburger Föderation erst mit der Übernahme der Geschäftsführung durch Schreyer zu Beginn des Jahres 1911. In der ersten Hälfte des Jahres entfaltete die Organisation relativ umfangreiche publizistische und Versammlungs-Aktivitäten (5).

Eine Aktivierung der „Landesföderation Nordwestdeutschland“ gelang allem Anschein jedoch nicht. Zwar kam auf Intervention der AFD-Konferenz von 1912 am 30. Juni die im Vorjahr ausgefallene Landeskonferenz in Bremen doch noch zustande, auf der Schritte zur Reorganisation beschlossen wurden; „von einer Realisierung dieser Pläne läßt sich aber nichts berichten“ (Linse).

Seite 1912 konzentrierte die Hamburger Föderation ihre Kräfte auf die Herausgabe der Monatsschrift „KAMPF. Organ für Anarchismus und Syndikalismus“ (6), deren Nullnummer zum 1. Mai erschien *). Seit der Nummer 2 wurde die Zeitung in einer eigenen Druckerei hergestellt. Als verantwortlicher Redakteur fungierte zunächst A. Fricke, bis Schreyer ab Nummer 11 diesen Posten, den er mit ziemlicher Sicherheit von Anfang an schon de facto innehatte (7), übernahm. Anfang 1914 scheint es zu schweren Differenzen zwischen Schreyer und der Hamburger Föderation gekommen zu sein, denn als verantwortlicher Redakteur erscheinen H. Noll (für die Ausgaben 21 und 22/23) sowie W. Krauß (Nr. 24). Allerdings schrieb Schreyer (unter seinem Pseudonym “Luigi“) für alle drei Ausgaben noch den Leitartikel. Erst im Juli 1914 zog er sich von der Zeitschrift zurück. Eine neue Herausgebergruppe, bestehend aus Albin Peukert, H. Noll, Krause, A. Fricke und W. Krauß, kündigte bis zum 10. August 1914 eine neue Ausgabe an, „die wohl wegen des Kriegsausbruches nicht mehr erschien“ (Linse).

Schreyer emigrierte bei Kriegsausbruch in die Schweiz um seiner Einziehung zum Militär zu entgehen. Im Dezember 1914 erschien in Kopenhagen seine Schrift „Die Sozialdemokratie und der Krieg“ (8); die Schweiz lieferte Schreyer schließlich widerrechtlich an das Kaiserreich aus, wo er wegen Fahnenflucht in den Knast gesteckt wurde. Die Haftbedingungen ruinierten seine Gesundheit so gründlich daß er entlassen werden mußte. Er starb noch während des I. Weltkrieges in einem Berliner Zuchthaus.

II. Anarchisten und Syndikalisten in der ‚roten Hauptstadt‘

Hamburg galt im Kaiserreich von 1871 als die Hochburg der Sozialdemokratie und der Freien Gewerkschaften (9). Neben der eigenen organisatorischen Zersplitterung die ansatzweise erst mit der relativ späten Gründung der Hamburger Föderation überwunden werden konnte und der bevorzugten Verfolgung durch die Obrigkeit (auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll (10)) war es vor allem die erdrückende Übermacht der Sozialdemokratie und der ihr nahestehenden Gewerkschaften, mit der die Anarchisten zu kämpfen hatten (11).

Zumindest für Hamburg (und die Wasserkante) scheint die Öffnung der lokalistischen „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVdG) für den Anarchismus, bzw. ihre allmähliche Hinwendung zum revolutionären Syndikalismus (12) die Chance gegeben zu haben, ihre Isolation zu durchbrechen (13).

Paul Schreyers Behauptung auf dem AFD-Kongreß 1914, daß die Hafenarbeiter „für anarchistische Ideen recht empfänglich seien“ und der KAMPF einen Anteil am Werftarbeiterstreik (Mitte Juli – Mitte August 1913) habe, scheinen nicht aus der Luft gegriffen (14). Der Streik, gegen den Willen der Gewerkschaften im Hafen ausgebrochen (die beiden wichtigsten: Deutscher Metallarbeiter-Verband (DMV) und Holzarbeiter-Verband (DHV)), wurde von ihnen abgewürgt; dies führte besonders im Organisationsbereich des DMV und unter seinen Mitgliedern zu großer Erbitterung (15). Der zweite Vorsitzende des Bauarbeiter-Verbandes, August Winnig, erklärte zwar Ende September 1913, daß „noch keine Anzeichen dafür vorhanden“ seien, daß der Hamburger Ortsverein des „Freien Verbandes der Metallarbeiter Deutschlands“ “größeren Zustrom aus Metallarbeiterkreisen erhalten wird“. Doch er sah sich genötigt darauf hinzuweisen: „Was sich in diesen den romanischen Syndikalismus nachäffenden Gemeinschaften zusarmmenfindet, sind verblendete Eiferer und destruktive Naturen, die sich keiner organischen Ordnung einfügen können.“ (16)

Syndikalisten und Anarchisten blieben in Deutschland bis zur Illegalisierung ihrer Organisationen bei Ausbruch des ersten Weltkrieges eine kleine Strömung innerhalb der Arbeiterbewegung. Und da die Geschichte von Siegern geschrieben wird —auch und gerade die Geschichte der Arbeiterbewegung — erscheint es notwendig, die ‘vergessenen‘ Richtungen dem Dunkel der Vergangenheit zu entreißen. Die „Sieger“ — Sozialdemokraten, Kommunisten, „Freie“ Gewerkschaften — haben zu entscheidenden Zeitpunkten gerade in Deutschland auch nur das eine bewiesen: daß sie Kolosse auf tönernen Füßen waren.

Jonny Schlichting

Hamburg, im Januar 1986

Anmerkungen

*) Die Ausgabe wurde auf rot/violettem Papier gedruckt. Das erklärt die lausige Qualität der Kopie. Die Hrsg.

1) Dieser erste Abschnitt stützt sich, soweit nicht anders vermerkt, auf Ulrich Linse, Organisierter Anarchismus im Deutschen Kaiserreich von 1871, Berlin/W. 1969, S. 257-261

2) an ihrer Spitze eine füinfköpfige Geschäftskommission bestehend aus R. Baumann, Hugo Schlegel (Vorsitz), Fr. Heider, W. Rietz, Ferd. Willmann

3) vertreten u.a. Hamburg (Schlegel, Willmann, Heider, Baumann, Leo Lerche, Bock, Majewski), Oldesloe (Klein), Bremen (Könitz, Seekamp), Köln (Neugebauer)

4) Neben der Hamburger Föderation: „Anarchistischer Lese- und Diskutierklub“ in Altona (um Karl Langer; Langer gab 1919 bis 1932 in Hamburg die Zeitschrift „Alarm“ heraus, Exemplare im Staatsarchiv Hamburg und dem IISG in Amsterdam) — „Klub der freien Sozialisten Wilhelmsburg“ — „Anarchistenbund Hamburg-Barmbek“ (gegründet 24.11.1908) und dessen Fortsetzung „Freier Bildungsverein Ferrer“ (gegründet 26.10.1910) — „Gruppe Anarchist“ (Oktober ‘10 bis Februar ‘12)

5) im April 1911zwei Flugblätter (Nieder mit den Anarchisten! und Der 1. Mai), 11 Versanmlungen, 6 Mitgliederversammlungen, 18 Neuaufnahmen und steigende Mitgliedsbeiträge. Trotzdem mußten für einen dritten Flugblattentwurf Sammellisten ausgegeben werden.

6) durchschnittliche Auflage des KAMPF waren 2.000 Exemplare, gelegentlich (warscheinlich die Mainummern) bis zu 4.000; im Herbst 1912 700 Abonnenten, im Frühjahr 1914 ca. 1,000. Unverkaufte Exemplare wurden besonders im Hamburger Hafen kostenlos verteilt

7) ein sehr großer Teil der Beiträge im KAMPF ist von Schreyer verfaßt. Neben seinem Namen zeichnete er mit den Kürzeln S., P. S. und dem Pseudonym Luigi.

8 ) Paul Schreyer, Die Sozialdemokratie und der Krieg, Kopenhagen 1914 – Kopien dieser Schrift, zusammen mit einer Erwiderung von Karl Radek (KPD) aus der Bremer „Arbeiterpolitik“ 1916, können demnächst von uns bezogen werden. Die Hrsg.

9) Noch unter dem Sozialistengesetz holte sich die SPD zwei der drei Hamburger Reichstagsmandate, seit 1890 waren alle drei Hamburger und der Altonaer Wahlkreis fest in sozialdemokratischer Hand (s. Hans Wilhelm Eckardt, Privilegien und Parlament. Die Auseinandersetzung um das allgemeine und gleiche Wahlrecht in Hamburg, Hamburg 1980, 5. 34f.). Für die der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands angeschlossenen Zentralverbände galt Hamburg als „Pflanzstätte“ ihrer Richtung (s. Paul Umbreit, Die gegnerischen Gewerkschaften in Deutschland, Berlin (2. Aufl.) 1907, 5. 6)

10) siehe die im KAMPF unter der Rubrik „Aus der Bewegung“ notierten ‘Verschickungen‘ in ‘Staatspension‘, sowie Linse (s.o.)

11) Manche Sozialdemokraten gingen dabei alles andere als zimperlich vor, wie diverse Notizen im KAMPF zeigen; dazu gehörte auch die Kollaboration mit der Politischen Polizei

12) Die „Freie Vereinigung“ ist aus der lokalistischen Opposition des Halberstädter Gewerkschaftskongresses 1892 hervorgegangen. Sie verstand sich ursprünglich als militante sozialdemokratische Richtungsgewerkschaft mit föderalistischer Struktur.
Der wachsende Druck der Zentralgewerkschaften auf die SPD und die sich verschärfende Kritik der FVdG an der Nutzlosigkeit des Parlamentarismus führte 1907 zum Ausschluß der Mitglieder der FVdG aus der SPD wegen „Anarcho-Sozialisrnus“ (s. Umbreit (Anm. 9)(vom Standpunkt der Zentralisten), Fritz Kater, Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, Berlin 1912 (vom Standpunkt der Lokalisten), Rudolf Rocker, Ein Leben für den revolutionären Syndikalismus. Biografie von Fritz Kater, Hamburg 1985; Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 19181923, Meisenheim-Glan 1969, S. 23-34; Angela Vogel, Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, Berlin/W. 1977, S. 44-69) Aus der FVdG ging 1919 die „Freie Arbeiter-Union Deutschlands (Anarcho-Syndikalisten)“ hervor.

13) Die Aktivisten der Hamburger Föderation scheinen sich stark bei der FVdG engagiert zu haben. Im KAMPF wird massiv für die Lokalisten geworben (was ja schon der Untertitel der Zeitung nahelegt). Zudem berichtet Linse (a.a.0. S. 260) von der Teilnahme „der Hamburger Anarchisten in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende von Lokalverbänden“ an der Konferenz der nordwestdeutschen Lokalisten am 15.12.1910 in Bremen. Weiterhin läßt sich die Mitarbeit eines der profiliertesten Vertreter der Hamburger FVdG, Karl Roche – zu ihm siehe Vogel (Anm. 12), S. 251, Anm. 26) -‚ am KAMPF nachweisen (Kürzel: R., K.R.)

14) siehe Linse, S. 260

15) zum Hafenarbeiterstreik s. Dieter Schneider, Der Streik. Begriff und Geschichte, in: ders. (Hrsg.), Zur Theorie und Praxis des Streiks, Frankfurt/ M. 1971, 5. 60—63

16) August Winnig, Zum Streik auf den Schiffswerften; in: Neue Zeit, Jg. XXXII, Bd. 1, Nr. 2

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