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Leichen pflastern ihren Weg … KPD-Aufstand Oktober 1923 in Hamburg-Barmbek

Am 23. Oktober 1923 hatten die Hamburger Parteikommunisten einen Großkampftag nach Ludendorffschen Muster veranstaltet. Ist es auch Wahnsinn – es hat Methode. Man könnte die Revolutionsspielerei als harmlose Kinderei bezeichnen, deckten nicht Proletarierleichen dabei die Straßen.

Es sollte die Eroberung der Staatsmacht wieder einmal vollzogen werden. Und was nachher geschehen sollte – deswegen läßt sich kein Parteimensch auch nur ein graues Haar wachsen. Die Arbeiter- und Bauernregierung sollte in Hamburg zuerst etabliert werden, und wie ein solches Regierungsgebilde dann zu regieren hätte, darüber macht sich kein Parteikommunist irgendwie Kopfschmerzen. Man macht in Rebellion eben der Rebellion wegen und nennt dieses verrückte Menschenschlachten Revolution. Ist es auch Wahnsinn, es hat Methode.

Natürlich waren die Hamburger Kommunisten nicht in dem Maße närrisch, lediglich der Dame Hammonia die »Vereinigten Sowjetstaaten« auf die Nase setzen zu wollen: die »nordische Wasserkante« war als Operationsbasis gedacht, wo »Sowjet-Deutschland« ausgerufen und die »Revolution«, wie der Parteikommunismus sie sich vorstellt, ihren Ausgang haben sollte. Jedoch in Kiel, Bremen und Bremerhaven blieb die Bewegung gleich in den Anfängen stecken. Nur in Hamburg und einigen Vororten wurde die Rebellionsnarrheit zur blutigen Wahrheit. Vielleicht wäre auch hier der Ausbruch vermieden worden, wenn hier nicht die gegenwärtigen sozialdemokratischen Regierer ihn bewußt gefördert hätten.

Die ehemaligen Bonzen und nunmehrigen Staatsmännekens mußten es wissen, und wissen es auch bestimmt, daß Verfolgungen und Verbote in einer politisch erregten Zeit Ausbrüche der Leidenschaft und des Fanatismus herbeiführen. Es standen einige Senatorensessel auf dem Spiel. Und eben, weil sie dieses wissen, wendeten sie skrupellos die Mittel der Verfolgung und der Verbote an. Seit Monaten propagierten die Kommunisten den reinen Arbeitersenat. Die Mitglieder beider Arbeiterparteien wollten und wollen das gemeinsame Handeln. Sogar die Hamburger Gewerkschaftskommission, dieses Gebilde für Unternehmerschutz und Arbeiterverrat, mußte in parteieinigenden Bestrebungen machen, denn deren sind zuviel, die davonlaufen. Käme es zu einer Einigung der Parteimitglieder, dann müßten einige Inhaber der Senatorensessel gegen Kommunisten ausgewechselt werden. Das betrübt ohne weiteres jedes Bonzenherz. Darum ist die »Hamburger Volkszeitung«, das Parteiorgan der Kommunisten, seit Wochen verboten, darum wurden alle öffentlichen Aeußerungen der K.P.D. gewaltsam unterdrückt. Die ohnehin fanatisierten Angehörigen der K.P.D. in Hamburg waren von den sozialdemokratischen Regierern absichtlich und gewissenlos zur Verzweiflung und zur Revolte getrieben, um zu verhindern, was in Sachsen-Thüringen geschah: die Verdrängung sozialdemokratischer Regierer durch eine Einigung für gemeinschaftliches parlamentarisches Handeln.

Außerdem ist die Elendssituation im Wirtschaftsgebiet Hamburg am Zerspringen. Die Werftarbeiter verdienten nicht mehr das trockene Brot, und die Werftgewaltigen erklären ihren Arbeiterräten: »Die Arbeiter hungern noch nicht.« Die Blohm und Konsorten dürfen sich dieser perversen Lust hingeben, denn sie wissen, daß sie unter dem Schutz der Gewerkschaftsführer stehen. Die Werften liegen nun seit einer Woche still. Auch im Hafen ruht die Arbeit. Man unterhandelt um wertbeständige Löhne. Im Hafen heulen die Rudimente der ehemaligen deutschen Flotte: einige Torpedoboote, und demonstrieren der Hamburger Arbeiterschaft die Wunder der sozialen Demokratie.

Diese Elendssituation ist für einen Kommunistenputsch wie geschaffen. Und so schlugen sie am 23. Oktober beim Morgengrauen los. Es wurden die Wachen der Außenbezirke im Handstreich genommen. In den preußischen Ort Schiffbeck wurde der »Bund der Sowjetstaaten« ausgerufen. In der inneren Stadt sollte durch Ansammlungen die »Sipo« abgehalten werden. Daß von außerhalb Reichswehr anrücken konnte, dagegen war vorgesorgt. Der Revolutionsplan war verdammt gescheit – wenn ihm nicht eine falsche Voraussetzung angehaftet hätte. Die Erstürmung der Wachen sollte die Massen in Bewegung setzen, die zum Rathaus ziehen und vielleicht Hense durch Thälmann und Grünwald durch Urbahns auswechseln sollten. Und das blieb aus. Die »klassenbewußten« Hamburger Arbeiter wollen gar keine neue Regierung: sie wollen Brot und Fett.

Die Masse der Streikenden sah sich die blutigen Vorgänge aus der Vogelperspektive an und wahrte ihre eigene Haut. So mußte der Putsch verbluten. Das Feuergefecht eines Tages brachte »Ruhe« wie zuvor. Wie viele Arbeiterleichen auf der Walstatt blieben, darüber berichtet die Hamburger Presse nichts. Man zählt nur die Namen der gefallenen und verwundeten »Sicherheitsmannschaften« auf.

Nun sind die kommunistischen Arbeiter wieder um eine Illusion ärmer und um eine Erfahrung reicher. So geht es nicht: die »Revolutionspsychose« der Massen ist am Erlöschen. Fanatiker, die es versuchen, unter Einsetzung ihres Lebens einen neuen »Staatsumsturz« herbei zuführen, kann man achten, weil sie Idealisten sind. Politisch sind sie Narren, als Revolutionäre sind sie Schwärmer. Schälen wir die Dinge, wie sie in Deutschland liegen, klar heraus:

Das Deutsche Reich Bismarckscher Schöpfung liegt in der Agonie. Es war nicht gewachsen aus wirtschaftlichen und kulturellen Notwendigkeiten heraus, es war zusammen gekittet mit Blut und Eisen. Das deutsche Eisen mußte versagen gegen die Wehrmacht der ganzen Welt, so muß das Reich mit Naturnotwendigkeit zusammenbrechen. Die »deutschen Stämme« fühlen sich nicht mehr miteinander verbunden, nachdem daß »Heil dir im Siegerkranz« verklungen. Die noch vom furor teutonicus besessen sind, sind jene, denen der Zusammenbruch des alten Militarismus die wirtschaftliche Existenz nahm.

»Held« Poincaré macht mit grausamer Konsequenz das übrige und Baldwin sieht befriedigt zu.

Der Zerfall des Reiches ist nicht aufzuhalten. Und diesen Zerfall wollen die Arbeiterparteien verhindern. Das wollen nicht nur die Sozialdemokraten, das wollen auch die Kommunisten. Sie stellen die Reichseinheit über die Arbeiterinteressen. Darum verhungern die Arbeiter bei vollen Scheunen. Denn ihre Organisationen greifen aus Furcht vor dem Zerfall der Reichseinheit nicht die »Substanz«, die Reichen, an. Auch die Kommunisten würden es nicht tun, kämen sie zur politischen Macht. Sie würden fortwursteln, wie die Sozialdemokraten fortwursteln.

Es gibt nur einen Weg zur sozialen Revolution – das ist die Loslösung des Arbeiterdenkens vom Staat, ist die Wandlung der Psychologie des Arbeiters von der Autorität zur Freiheit. Das Ziel ist ein anderes [als das], wofür die kommunistischen Arbeiter Blut und [Leben] opfern: es ist die Ordnung ohne staatlichen Zw[ang], ist der staatenlose, herrschaftslose Sozialismus.

Isegrimm

Der Syndikalist (Berlin), Jg. 5/1923, Nr. 43/44

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